„Die größte Inspirationsquelle meiner beruflichen Laufbahn“
Netzwerkschulen profitierten in den vielen Tagen des Austausches vom verständnisvollen Miteinander
Autor: Stephan Lüke, freier Bildungsjournalist
Ein Hauch von Wehmut lag über der Gesamtschule Fuldatal als hier Ende Oktober das Netzwerk „Beziehung und Lernen in Digitalität im Ganztag“ sein (offizielles) Ende nahm. Fünf Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit, gemischt mit dem Wunsch und Mut zu Veränderung, markierten auch für die Netzwerkenden eine Zäsur. Eine, die zum Innehalten anregte.
Nicole Quick (Friedrich-August-Genth-Schule Wächtersbach) brachte auf den Punkt, was wohl vielen der engagierten Lehrkräfte durch den Kopf ging: „Das Netzwerk ist für mich die größte Inspirationsquelle meiner beruflichen Laufbahn. Durch den Austausch habe ich eine neue Perspektive auf Schule gewonnen. Das in der Alemannenschule in Wutöschingen kennengelernte Lerncoaching habe ich zunächst in meiner Klasse erprobt. Anfangs gab es Bedenken, ob sich das Konzept auch in Haupt- und Realschulklassen umsetzen ließe – doch diese Skepsis hat sich schnell gelegt. Inzwischen wird das Lerncoaching von den Schülerinnen und Schülern begeistert angenommen und auch die Eltern stehen dahinter. Ohne das Netzwerk gäbe es Lerncoaching an unserer Schule nicht.“
Netzwerk als Ideenbörse
Das Ziel des von der Serviceagentur Ganztag Hessen initiierten Netzwerkes wurde nach Einschätzung der Teilnehmenden erreicht. 30 bis 40 Personen kamen zu den Treffen. Darunter viele, die so etwas wie einen eingeschworenen Kern bildeten. Doch die Türen standen in den zwei Netzwerkphasen „allen“ offen. Und so fanden sich immer wieder weitere Interessierte aus den 13 Netzwerkschulen ein. Sie wurden zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vieler Ideen, die nicht beim Umgang mit Digitalität endeten, sondern vielmehr zu Weiterentwicklung von Schulkonzepten führten[L1] . Das Selbstorganisierte Lernen zählt dazu.
Den Geist, den auch das Netzwerk prägte, spiegeln die Worte der Leiterin der Gesamtschule Fuldatal wider. Liane Stephan appellierte am Tag der Hospitation in ihrem Haus an das eigene Kollegium: „Unser pädagogisches Konzept ist entscheidend. Die Digitalisierung ist dabei ein Mittel zum Zweck, nämlich zur Umsetzung dieser pädagogischen Zielsetzungen. Ich ermuntere Sie, Dinge auszuprobieren.“
Digitalisierung als Auslöser für Schulentwicklung
Was das Netzwerk ausgelöst hat, unterstrich dann auch Dr. Isabell Bausch (Max-Planck-Gymnasium Groß Umstadt): „Mein ursprünglicher Fokus in diesem Netzwerk lag auf Fragen, wie ich beispielsweise die digitale Ausstattung hinbekomme und wo das Geld dafür herkommen kann. Doch diese Überlegungen sind in den Hintergrund getreten. Stattdessen haben wir gemeinsam viel stärker überlegt, was Kinder zum Lernen benötigen. Unsere Erkenntnis: Das Digitale ist nicht alles. Oder, um es anders auszudrücken: Zum Stricken benötigt man Wolle. Das Thema Beziehungen nahm einen breiten Raum ein. Einerseits ihre Bedeutung zwischen uns Lehrkräften und den Schülerinnen und Schüler für den Lernerfolg. Anderseits aber auch unter uns Netzwerkenden. Persönliche Beziehungen und Vertrauen sind so gewachsen, dass unser Austausch auch außerhalb der Netzwerktreffen stattfindet."
Gleichgesinnte mit ähnlichen Herausforderungen
In der Netzwerkphase 1, in der das erste Treffen aufgrund von Corona „nur“ online stattfinden konnte, stand u. a. der Besuch sogenannter Leuchtturmschulen an. Sie sollten der Inspiration dienen und Mut machen, auch einmal außergewöhnliche Schritte zu wagen. Zugleich stellte die Zeit dieses Miteinanders die Basis für das gegenseitige Kennenlernen und des Vertrauen Schöpfens dar.
Julia Döller (St. Angela Schule Königstein) erinnert sich: „Wir haben uns im Bewusstsein, dass sich unsere Schule weiterentwickeln muss, in der Corona-Zeit für das Netzwerk beworben. Ziel war es, den Digitalaspekt und eben die Schulentwicklung zusammenzubringen. Das Netzwerk hat unseren Mut und unsere Zuversicht gestärkt, neue Wege zu gehen, uns auch zu trauen, nicht immer an den Vorschriften zu ,kleben`, sondern zu schauen, was möglich ist. Es tut gut, Gleichgesinnte zu treffen, die in ihrer Schule vor ähnlichen Herausforderungen stehen."
Ohne Scheu, sich zu öffnen
Wer mit Netzwerk-Teilnehmenden spricht und sie nach Erfahrungen fragt, erhält nahezu von allen eine fast identische Rückmeldung: „Wir haben Wertschätzung gespürt.“ Sowohl seitens der Organisatoren, der beratenden Fachleute, aber auch der anderen Schulen. Alle spürten, dieser Eindruck verfestigt sich, dass sie in einem Boot sitzen und sich bemühen, es stückweise und sensibel auf Kurs zu halten oder einen neuen Kurs einzuschlagen.
In den zahllosen, zumeist dreitägigen Netzwerktreffen seien ungläubige Blicke und Gedanken wie „Wieso habt Ihr dieses und jenes nicht?“ „Echt – ihr habt noch kein Selbstorganisiertes Lernen eingeführt?“ „Warum nutzt ihr die digitalen Möglichkeiten nicht? – ist doch easy“ niemals aufgekommen. Gegenseitiges Verständnis prägte das Miteinander, eines, das es den Teilnehmenden auch erleichterte, vermeintliche Schwächen einzuräumen.
So verwundert das Fazit von Markus Seitz (Carl-Schomburg-Schule Kassel) nicht: „Im Austausch mit den anderen Kolleginnen und Kollegen haben wir wichtige Anregungen von jenen erhalten, die sich auf den Weg gemacht haben, ihre Schule zu verändern. Mit einigen telefoniere ich, tausche Gedanken und Erfahrungen aus - auch über Themen, die über die Inhalte des Netzwerks hinausgehen, wie beispielsweise den Umgang mit Ressourcen, die Veränderung von Strukturen und insgesamt über Entscheidungsprozesse. Eine wesentliche, durchs Netzwerk angestoßene Veränderung, stellt bei uns das Lerncoaching dar. Heute kann ich sagen, wir haben uns auch dank des Netzwerkes von einer Schule in der Krise zu einer Schule im Aufbruch gewandelt."