Interview mit der Serviceagentur zur Arbeit des Netzwerkes Beziehung und Lernen in Digitalität

Netzwerk
© Martina Schlosser

Vertrauen als Basis der Zusammenarbeit

Seit fünf Jahren arbeiten 13 Schulen im Netzwerk „Beziehung und Lernen in Digitalität im Ganztag“ zusammen – eine Bilanz
Autor: Stephan Lüke, freier Bildungsjournalist 

Leuchtturmschulen, gegenseitige Hospitationen, professionelle Begleitung und Unterstützung und intensiver Austausch kennzeichneten die Treffen der Netzwerkenden in Hessen. Martina Schlosser und Stephanie Welke (Serviceagentur Ganztag Hessen) blicken auf das zurückliegende halbe Jahrzehnt zurück. 

Wie lautete das erklärte Ziel des fünfjährigen Netzwerkes „Beziehung und Lernen in Digitalität im Ganztag“?

Martina Schlosser: Als Serviceagentur haben wir den Rahmen für das zur Verfügung gestellt, was die beteiligten 13 Schulen rund um das Thema bewegt. Inhaltlich orientieren wir uns dabei an dem, was die Schulen brauchen und benennen. Ich erinnere mich gut an eines unserer ersten Netzwerktreffen. Als wir spürten, dass die Teilnehmenden Zeit benötigten und wünschten, um sich auszutauschen, haben wir unsere ursprüngliche Agenda spontan über Bord geworfen. Grundsätzlich haben wir als Organisationsteam gemeinsam mit Wolfgang Vogelsaenger jedes Treffen reflektiert und dann Angebote unterbreitet, von denen wir annahmen, dass sie jetzt hilfreich sein könnten. Wichtig war uns, diese Inhalte immer mit der Gruppe abzustimmen.

Wie hat sich die Netzwerkgruppe im Laufe des halben Jahrzehnts verändert?

Stephanie Welke: Viele kamen ursprünglich wohl, um zu hören, wie es andere mit der Digitalität halten, wo sie die erforderliche Ausstattung herbekommen, wie Finanzierungen gesichert werden können. Doch schnell wurde allen deutlich, dass hinter der Ausgangsfrage mehr steht – nämlich die Schulentwicklung, das eigene Konzept und auch die Überlegung, wie Digitalität den Ganztag verändert. Die Technik rückte immer mehr in den Hintergrund, Lernkonzepte und Lernkultur standen dafür im Vordergrund.

Welche Rolle spielten die Rahmenbedingungen, die durch Corona diktiert worden waren?

Schlosser: Auf jeden Fall war die Anfangszeit des Netzwerks davon stark geprägt. Die Frage von Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern spielte eine große Rolle, auch unter dem Aspekt von Digitalität. Sie bot ja einerseits die Möglichkeit, mit den Schülerinnen und Schülern in Verbindung zu sein, aber andererseits fehlten Beziehungsaspekte, die menschlich für die Kinder und Jugendlichen zur gesunden Entwicklung auch nötig sind. 
Welke: Außerdem wurde in der Digitalisierung ein großes Potential für mehr individualisierte Beschulung gesehen. Die aber andererseits auch zu mehr Vereinzelung führen kann, wenn alle Kinder und Jugendlichen alleine vor ihren digitalen Endgeräten sitzen und ihre individuellen Aufgaben abarbeiten. Darum wurde auch konkret nach Projekten gesucht, die sowohl die Chance bieten, alle nach ihren individuellen Möglichkeiten zu beteiligen aber auch kollaborativ zusammen zu arbeiten – trotz unterschiedlicher Kompetenzen, Begabungen und Wissensstände.

Wie hat sich die Beziehung unter den Netzwerkteilnehmenden entwickelt?

Schlosser: Ich denke, es hat rund anderthalb Jahre benötigt, um die tiefe Vertrauensbasis zu schaffen, die heute noch die Kontakte unter den Netzwerkschulen prägt und trägt – weit über das Ursprungsthema hinaus. Es war für uns ein Highlight, wenn uns Teilnehmende sagten, „wir stärken uns hier für den kleinen Bereich, den wir an unserer Schule zunächst einmal beeinflussen können.“ Wir haben immer feste Zeiten implementiert, in denen die Schulteams miteinander arbeiten können, um gemeinsam zu überlegen, welche Aspekte des Gesehenen und Gelernten für die eigene Schule relevant sein könnten und wie das in das eigene Konzept passen könnte. Deshalb war es uns von Anfang an wichtig, dass immer mehrere Personen aus einer Schule kommen. Dies stellte einen ganz wichtigen Baustein unseres Netzwerks dar.

Nicht nur in Hessen, sondern bundesweit ist die Entwicklung zu beobachten, dass sogenannte Leuchtturmschulen, beispielsweise auch solche, die beim Deutschen Schulpreis eine gute Platzierung erreicht haben, lange Besucherlisten anlegen mussten… 

Welke: Ich gebe zu, das war bei uns anfangs nicht anders. Auch bei uns stand die Alemannenschule Wutöschingen ganz oben auf der Agenda. Und der Besuch dort hat auch viele wertvolle Impulse geboten. Die Netzwerkteilnehmenden waren tief beeindruckt. Aber es war auch eine Art Ohnmacht zu spüren. Sie resultierte aus der Sorge, dem Gezeigten und Erlebten an der eigenen Schule ohnehin nicht gerecht werden zu können. Im nächsten Schritt haben wir „Leuchtturmschulen“ in Hessen besucht, die trotz schwieriger Bedingungen innovative Konzepte entwickelt haben. Das waren Schulen wie die Richtsbergschule in Marburg oder die Dr.-Georg-August-Zinn-Schule in Gudensberg, die auch nur eine „ganz normale“ hessische Schule ist. 

Welche Eindrücke nahmen die Teilnehmenden von den „Leuchtturmschulen“ mit?

Welke: In der Reflektion der Hospitationen an den Leuchtturmschulen kam neben der „Ehrfurcht“ vor den Leistungen dieser Schulen auch zur Sprache, dass es an den eigenen Schulen zum Teil schwierige Umstände gibt. Oft hatten die Netzwerkerinnen und Netzwerker Bedenken oder auch keine gute Idee, wie sie diesen begegnen könnten. So begannen mit dem Besuch der ersten Netzwerkschule, dem Max-Planck-Gymnasium in Groß Umstadt ein gegenseitiger Austausch und eine gegenseitige Beratung. 

Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen?

Es ging nicht um Belehrungen oder Profilierung, sondern es wurden gemeinsam kleine Schritte überlegt und es gab Ermutigung. Auch Wolfgang Vogelsaenger und Stefan Clotz spielten in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Bei den gegenseitigen Besuchen der Netzwerkschulen konnten wir Schwerpunkte erleben, die andere gesetzt haben. Die Schulen konnten sich darüber austauschen, wie sie Veränderungen anstoßen und strukturell etablieren konnten, aber eben auch, wie Widerstände und Stolpersteine überwunden werden konnten. Dazu zählte etwa die Frage, wie mit Kolleginnen und Kollegen an der eigenen Schule, die vor den Entwicklungsprozessen aus Angst vor Überforderung etc. zurückschreckten, umgegangen werden kann. Die Überlegung, wie die Unterstützung oder wenigstens das Gehör der Schulleitung, um neue Dinge, z.B. das Coaching, ausprobieren zu können, gewonnen werden kann, beschäftigte uns ebenso.

Wenn Sie auf die Jahre zurückblicken – was ist gut gelaufen und wo sehen Sie Optimierungsbedarf bei einem solchen Netzwerk?

Schlosser: Gut war in jedem Fall, mit unseren Angeboten auf das zu reagieren, was die Schulen benötigen. Wir haben keine vorab festgelegte Agenda abgespult, sondern immer nach den zeitlichen und inhaltlichen Bedarfen geschaut. Wenn dafür die Zeit während der Netzwerke nicht ausgereicht hat, gab es immer das Angebot, Beratung, Fortbildung und andere Unterstützung zwischen den Netzwerkphasen durch Wolfgang Vogelsaenger an der eigenen Schule zu erhalten.

Was haben die Netzwerkenden davon mitgenommen?

Welke: Hinter einem Oberbegriff wie Beziehung und Lernen in Digitalität steht natürlich auch die Frage, was beispielsweise Schülerinnen und Schüler-Orientierung ausmacht. Wie kann sie gelebt werden und was brauchen wir, damit Schule ein guter Ort für alle wird. Wertvoll war auch, dass niemand dem anderen etwas aufdrücken wollte, sondern dass die Vielfalt der Konzepte befürwortet wurde. Die Unterstützung unserer professionellen Begleitung, wie etwa durch Wolfgang Vogelsaenger und Stefan Clotz hat sicher wesentlich dazu beigetragen, dass sich die überwiegend jungen Kolleginnen aus individueller Sicht professionalisieren konnten.

Wo sehen Sie Optimierungsbedarf?

Welke: Ein Punkt ist vielleicht, die Schulen noch individueller auf ihrem Weg, das Erlebte ins eigene System zu bringen, zu begleiten. Dabei sollte die Beteiligung von Schülerinnen oder Schülern, oder zumindest eine Evaluation, aus der hervorgeht, wie sie diese Veränderungen wahrnehmen und wie es ihnen damit geht, mitgedacht werden.

Ist das Netzwerk nun nach fünf Jahren ein abgeschlossenes Kapitel?

Schlosser: Auf keinen Fall. Die Netzwerkschulen sind eine so fest verankerte Gemeinschaft, dass sie sich weiterhin untereinander bereichern werden. Wir als Serviceagentur Ganztag werden die Schulen auch künftig beraten, sie auch beispielsweise bei der Suche und Finanzierung von Referentinnen oder Referenten unterstützen. Unsere Netzwerkschulen können sich jederzeit gerne an Matthias Kulisch (matthias.kulisch@schule.hessen.de) wenden. Ihn haben wir als neuen Kollegen der Serviceagentur Ganztag Hessen für diese Aufgabe gewinnen können. Er kennt die Schullandschaft in Hessen bestens und begleitet das Netzwerk lange und intensiv.