Zum Schuljahr 2021/2022 hat die Serviceagentur das erste moderierte und begleitete hessische Schulnetzwerk ins Leben gerufen: Beziehung und Lernen in Digitalität - Lern- und Medienkonzepte (weiter-) entwickeln. Über zwei Jahre hinweg standen die selbstgewählten Entwicklungsvorhaben der Schulen und der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Pädagogik im Fokus.
Wolfgang Vogelsaenger begleitete als Moderator, Coach und Fortbildner das Netzwerk auch durch individuelle Beratungen und Angebote für die Einzelschulen. Wolfgang Vogelsaenger war von 2002 - 2018 Leiter der Georg-Christoph-Lichtenberg Gesamtschule Göttingen-Geismar. 2011 erhielt die IGS GÖ-Geismar den Deutschen Schulpreis für „Eine wertschätzende, vertrauensvolle Beziehungskultur zwischen Schülern und Lehrern, zwischen Eltern und Lehrern, zwischen Kolleginnen und Kollegen“.
Heute wollen wir die Möglichkeit nutzen und unsere 3 Fragen an Wolfgang Vogelsaenger stellen:
1. Lieber Wolfgang, mit welcher Motivation hast Du die Aufgabe des Netzwerkmoderators übernommen? Welche Themen liegen Dir in Bezug auf die Digitalisierung der Bildung besonders am Herzen?
Nach meiner Pensionierung 2008 habe ich mir vorgenommen, mich nur noch in den Projekten zu engagieren, in denen meine Arbeit nachhaltig ist, das heißt, dass das, was ich mit einzelnen Kollegen und Kolleginnen oder ganzen Schulen arbeite, auch in den Klassenzimmern bei den Kindern und Jugendlichen ankommt. Dadurch, dass wir individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen Schulen eingehen, können wir passgenaue Angebote machen, die genau in dieser Phase der Schulentwicklung wichtig und nutzbar sind. Die Digitalisierung ist für mich ein zentrales Thema für zweitgemäßes Lernen. Die Kinder und Jugendlichen müssen in der Schule die Gelegenheit bekommen, zu souverän handelnden Menschen in diesem Bereich zu werden, nicht mehr Objekte zu sein. Individuelles eigenverantwortliches Lernen wird durch die Möglichkeiten der Digitalisierung extrem erleichtert. Die früher mit viel Arbeit und Aufwand gestalteten „Lernbüros“ stehen heute den Kindern und Jugendlichen unmittelbar in ihrem Tablet zur Verfügung.
2. Wie waren Deine Erfahrungen in der ersten Netzwerkphase? Welche Themen waren für die Schulen zu Beginn besonders wichtig und welche haben sich im Laufe der Arbeit ergeben? Gab es unerwartete Überraschungen?
Zunächst stand bei den Teilnehmenden die Technik im Vordergrund und all die nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten: WLAN, Vorschriften durch Kommune und Land, Datenschutzbestimmungen, Widerstände in Schulleitung oder Kollegium, Überlastung, fehlende pädagogische Konzepte und viele anderen Stolpersteine mehr.
Unser Ansatz, neben die Konzepte für eine funktionierende technische Ausstattung auch eine Strategie zur Implementierung in das pädagogische Konzept in den Vordergrund zu stellen, ist aufgegangen. In den letzten Netzwerktreffen, die wir an der IGS Göttingen, an der Alemannenschule in Wutöschingen, der Richtsbergschule in Marburg oder der Dr.-Georg-August-Zinn Schule in Gudensberg durchgeführt haben, ging es vorrangig um die Frage, wie wir Lernsituationen gestalten wollen, in denen Digitalität eine Komponente unter vielen anderen ist. Dadurch wurde auch schnell deutlich, dass die Frage der Digitalität an einer Schule nicht Aufgabe von zwei „Digitalfuzzis“ sein kann, sondern dass es ganz besonders die Schulleitung und das ganze Kollegium betrifft. Und genau an dieser Frage kann man die Unterschiedlichkeit in der Entwicklung der einzelnen Schulen festmachen: Da, wo Schulleitung eng in unsere Arbeit eingebunden ist, dort bewegt sich vieles unglaublich schnell. Da, wo Schulleitungen eher zurückhaltend bis ablehnend sind, ist es manchmal recht schwerfällig. Vieles konnte durch die Coachings zwischen den Netzwerktreffen aufgefangen werden: Hier haben wir Coachings für Schulleitungen und Steuergruppen, schulinterne Lehrerfortbildungen, Elternabende oder auch immer wieder Gespräche mit den Netzwerkteilnehmern und -teilnehmerinnen durchgeführt, die immer wieder einen Stein nach dem anderen aus dem Weg geräumt und Rollenklarheit geschaffen haben.
3. Was möchtest Du den Schulen nun in der zweiten Netzwerkphase gerne mitgeben? Was wünschst Du Dir für die Schulen?
Wir haben es in der ersten Phase geschafft, eine ungewöhnlich gute Vertrauens- und Arbeitsbasis gemeinsam zu entwickeln. Dabei hat entscheidend die kollaborative und unkompliziert spontane Zusammenarbeit des Orga-Teams (Martina Schlosser, Stephanie Welke und Anna Benning) beigetragen. Es machte einfach Spaß, gemeinsam zu planen und dann im Zweifel auch alles ganz anders zu machen.
Hierauf wollen wir nun aufbauen: Im Zentrum stehen folgende Themen:
- Wie kann die Zusammenarbeit mit Teilen des Kollegium auf die ganze Schulgemeinschaft ausgeweitet werden? Hier wollen wir mit den Schulleitungen, den Schülern und den Eltern der Netzwerkschulen arbeiten. Ziel soll dabei sein, dass die gesamte Schulgemeinschaft hinter der Philosophie der Digitalität steht.
- Dazu wollen wir die Aufgaben- und Coachingkultur in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Diese wollen wir in den Netzwerktreffen beobachten und diskutieren, die wir durchweg an jeweils einer der Netzwerkschulen durchführen wollen. Meiner Meinung nach sind dies zentrale Fragen, egal in welchem System von Schule man sich bewegt, ob in Gymnasium oder Gesamtschule, in einer Teamschule wie der IGS Göttingen oder einer sehr individualisiert arbeitenden Schule wie der Alemannenschule. Die Frage, wie wir Aufgaben für Lernsituationen stellen, und die Frage, wie wir den individuellen Lernweg der Kinder und Jugendlichen begleiten oder coachen können unabhängig von der individuellen Schulkultur etwas darüber aussagen, welche Rolle die Digitalität in diesen Prozessen spielen soll. Das bedeutet für die teilnehmenden Schulen aber viel: sie müssen sich darüber klar werden, wie sie bislang mit ihren Lerngruppen gearbeitet haben und wie sie es in Zukunft mit den Mitteln der Digitalität tun wollen. Hier werden sich Unternetzwerke bilden, die gemeinsam an ähnlichen Themen arbeiten und dies auch nach Beendigung der zweiten gemeinsamen Phase. Wir hätten mit unserer Arbeit dann Erfolg, wenn in unseren Schulgemeinschaften in gemeinsames Verständnis von Digitalität und von Lern- und Prüfungskultur entstehen würde, das resilient auch gegenüber ungünstigen Rahmenbedingungen wäre. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir die Gelegenheit bekommen, ein solches Konzept über 4 Jahre mit den gleichen Schulen durchzuführen. Selbstverständlich ist das nicht und wohl auch einmalig in der deutschen Fortbildungslandschaft.