Das Interview führte Stephan Lüke, freier Bildungsjournalist
November 2025
„Es sind keine kleinen Mosaiksteine…“
Wolfgang Vogelsaenger begleitete und coachte die Netzwerkschulen in Hessen kontinuierlich
Als Schulleiter sammelte Wolfgang Vogelsaenger wertvolle Erfahrungen für die Schulentwicklung. Im Interview eröffnet er Perspektiven, wie Schulen auch nach Abschluss des Netzwerks „Beziehung und Lernen in Digitalität im Ganztag“ Veränderungen anstoßen können.
Was hat das Netzwerk in den beteiligten Schulen ausgelöst?
Wolfgang Vogelsaenger: Die Frage der Digitalisierung in Schule wird an allen Schulen nicht mehr als rein technische Frage gesehen, sondern als pädagogische. In den Schulen wird nun breit darüber diskutiert, wie Kinder lernen sollen, auch unter Einbeziehung digitaler Medien. Dies führt weit über die Zuständigkeit der zunächst benannten „Digitalbeauftragten“ hinaus. Es ist eine Frage aller Kolleginnen und der Schulleitung geworden.
Welche Bedeutung hat der Blick über den Zaun für die eigene Schulentwicklung?
Vogelsaenger: Die Teilnehmenden sehen und erleben, dass es auch anders geht. Diese Erkenntnis konnte dann im Netzwerk diskutiert und an die eigenen Bedingungen adaptiert werden – wenn das gewünscht war. Meine Rolle war dann dabei, das entsprechend einzuordnen und an den übergeordneten Zielen zu messen.
Das Netzwerk ist offiziell abgeschlossen. Sie haben die Schulen begleitet und beraten. Wie kann und sollte es an den teilnehmenden Schulen weitergehen?
Vogelsaenger: Darüber bin ich sehr stolz! Die Schulen machen ohne mich weiter. Das ist doch das Ziel von Coaching, sich selbst überflüssig zu machen. Und es stellt auch ein Ziel jeder Lehrkraft dar.
Wo sehen Sie den größten Veränderungsbedarf in Schulen generell?
Vogelsaenger: Es sind keine kleinen Mosaiksteine, die verändert werden müssen, sondern das gesamte System ist überholt. In meinem Projekt „Lerndorf Klein Wanzleben“ (https://lerndorf.eu) wird das durchdekliniert. Bildung aus einem Guss von der KITA bis zum Schulabschluss. Im eigenen Tempo. Mit der Möglichkeit, schon früh auch schon für eine längere Zeit aus der schulischen in die berufliche Ebene zu wechseln. Mit früher Einbeziehung der Eltern. Beziehungen bleiben bestehen, Beziehungsabbrüche werden vermieden. Der Kultusminister von Sachsen-Anhalt ist vom Konzept sehr angetan: „Endlich mal ein konsistentes Alternativkonzept. Das wäre ein Leuchtturm für Sachsen-Anhalt.“
Welche Schritte empfehlen Sie, wenn sich eine Schule auf den Weg der Veränderung begeben möchte?
Vogelsaenger: Zunächst sollte gemeinsam ein Problembewusstsein entwickelt werden, das u.a. die Frage beleuchtet, „warum fühlen wir uns mit diesem Zustand nicht wohl?“ Mit diesen Erkenntnissen angefüllt kann man tatsächlich einen gezielten Blick über den Zaun werfen, schauen, wie es andere machen und was man angepasst auf die eigenen Begebenheiten übernehmen kann. Hieraus kann man im Team eigene Visionen kreieren, um in Anschluss die Frage zu erörtern, mit welchen Hindernissen und Widerstände zu rechnen ist und wie diese eventuell überwunden werden können. Als erfolgversprechend hat sich das Einsetzen eines Pilotjahrgangs, der die angestrebten Innovationen umsetzt, erwiesen. Einen wichtigen Baustein stellt die sich anschließende Evaluation dar. Hier kann man schauen, was bereits gut gelingt und was möglicherweise noch optimiert, angepasst oder auch fallen gelassen werden sollte. Danach kann das Ganze in ein neues Schulkonzept gegossen werden.
Wolfgang Vogelsaenger war seit 1971Lehrer an Schulen verschiedener Schulformen. Er führte das Teammodell im Gymnasium Tellkamfschule Hannover ein. Er leitete die Georg-Christoph-Lichtenberg Gesamtschule Göttingen, die 2011 den Deutschen Schulpreis gewann. Bei der Deutschen Schulakademie Berlin war er für das Thema „Beziehungen“ verantwortlich. Als Coach, Berater und Dozent ist er im In- und Ausland gefragt.
Stephan Lüke
Der Bildungsjournalist
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